Zuerst veröffentlicht am 11. Oktober 2014
Letzte Woche ging ich in die Tiefe und kramte meine ersten Erkenntnisse zum Thema Rumänien von 2011 heraus, die ich in Glossen goss und all den Autoren widme, die sich momentan fragen, was man mit Rumänien anfangen kann. (Eine Menge!) Den Audiophilen unter euch empfehle ich die Podcasts STRIGOI aus dem gleichen Jahr, der Rest darf lesen.
Glaubt mir, ich habe mir alle Mühe gegeben. Doch meine Mutter war mit meiner Aussprache alles andere als zufrieden, als ich ihr den strigoi (Warnung: Link zum Podcast in gebrochenem Rumänisch – klingt furchtbar) vorspielte. „Glaubst du, dass sich jemand für dein radegebrochenes Rumänisch interessiert“, fragte sie kopfschüttelnd, „geschweige denn es versteht?“ „Was soll ich denn machen?“ Ich zuckte mit den Schultern. Doch das ließ sie nicht gelten. „Wenn du dir eine verantwortungsvolle Aufgabe an Land ziehst, dann sorge für Spannung! Komm, ich zeig’s dir.“
Sie räusperte sich umständlich, und wie früher verwandelte sich das kalte Licht der Glühbirne plötzlich in dämmriges Funzeln, das mir schon als Kind mächtige Schauer über den Rücken gejagt hatte. Geheimnisvoll senkte Mutter den Kopf und begann mit dumpfer Stimme: „Es war im Moldaugebiet, wo der Teufel seinen Hut verloren hat. Dort, wo die Menschen noch an Hexen glauben und“, sie riss die Augen auf, „die Wiedergänger leben.“
Ich räusperte mich ebenfalls. „Wiedergänger sind Untote und leben nicht mehr, Mutti.“ „Schweig und lass mich reden!“, fuhr sie mich an. Dann folgte ein Hustenanfall, minutenlanges Räuspern, schließlich verlangte sie ein Glas Wasser. Ich brachte es ihr. „Ich kann auch was von König Mihai erzählen“, bot ich an, weil der Frosch in ihrem Hals nicht aufgeben wollte, „immerhin ist er schon 90 und spricht demnächst vor dem rumänischen Parlament.“ „Das ist nicht spannend genug“, krächzte Mutter und legte endlich los.
„Da war die Nachbarin einer Arbeitskollegin. Sie lebte mit ihrem Mann und den Schwiegereltern unter einem Dach, wie es damals noch üblich war, als …“ „… sich Fuchs und Hase beim Blind Date trafen“, fiel ich ein, um die umständliche Beschreibung der verwandtschaftlichen Beziehungen abzukürzen. „Unsinn.“ Meine Mutter schüttelte missbilligend den Kopf. „Hin und wieder sterben Menschen, und im Moldaugebiet war und ist es immer noch Sitte, den Toten im Haus aufzubahren und ein Glas mit einem Bausch Wolle auf den Schrank zu stellen. Ist am nächsten Tag noch Wasser im Glas, hat die Seele den Körper verlassen und er kann unversehrt der Erde übergeben werden. Wenn jedoch das Wasser nicht mehr im Glas ist …“
„Ja ja, schon klar“, seufzte ich genervt, „also was war jetzt mit der Schwiegermutter der Nachbarin deiner Arbeitskollegin?“
Ungeachtet meiner Ungeduld fuhr Mutter noch langsamer fort. „Als sie ihren letzten Atemzug getan hatte, kamen die Klageweiber und verrichteten ihr Werk mit Inbrunst. Die Familie stellte auch das Glas mit Wasser und Wolle auf den Zimmerschrank. Doch die Leiche der Schwiegermutter wurde nicht blass, sondern behielt ihre rosigen Wangen. Und als die Trauernden am nächsten Morgen das Zimmer betraten, in dem es von den vielen Kerzen und den Klagen der Weiber ganz warm war“, sie schaute mich triumphierend an, „war das Wasserglas leer!“
Ich schüttelte den Kopf. „Ist doch irgendwie logisch, oder?“ „Das sagst du“, flüsterte Mutter, „doch die Angehörigen sahen es anders. Das leere Glas war für sie der Beweis, dass die Schwiegermutter eine Wiedergängerin geworden war, eine strigoiă, und deshalb schnitzten sie einen Eichenholzpflock und trieben ihn ihr mitten durchs Herz.“
Das Licht der Glühbirne flackerte, metallisches Zischen – es wurde dunkel. „Sie ist nicht wiedergekommen, richtig?“, murmelte ich. „Genau“, antwortete Mutter triumphierend. Dann herrschte einen Moment betretene Stille.
Während ich im Schrank nach einer Ökoleuchte suchte, um sie gegen die kaputte Glühbirne auszutauschen, rief Mutter: „Dann überleg dir eben ein Märchen zu deinem rumänischen König, wenn dir das nicht spannend genug ist!“
Mein König, ha ha …