In den »Sagen des klassischen Altertums« ist Eurydike eine ziemliche Langweilerin. Sie gibt alles auf, was ihr Dasein ausmacht, statt zu fordern, dass Orpheus sich gefälligst auch nach ihr richtet. So konnte ich das natürlich nicht stehenlassen! Ich wollte, dass Faith als Eurydike die depressive Phase auslebt, wenn auch größtenteils in ihrem Kopf, und mit ihrem daraus resultierenden Verhalten ihre Mitschüler stark verunsichert.
Aber wie sieht es im Kopf eines Menschen aus, der sich täglich ein bisschen mehr von der Realität entfernt? Man muss nicht mit Chemikalien experimentieren, um das herauszufinden. Jeder ist mal traurig, ohne gleich krank zu sein. Diese Phasen kommen und gehen auch bei einem »gesunden« Menschen. Ich setze das Wort in Anführungszeichen, weil die World Health Organization (WHO) dazu zwar eine Definition anführt, aber diese auch Spielraum lässt: Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.
Kann man mit diesen Vorgaben auch eine Definition für den literarischen Hausgebrauch ableiten? Ich bezeichne Krisen, die mit merklicher psychischer Labilität einhergehen, als »seelische Grippe«, die wie die virale Grippe den ganzen Menschen in Mitleidenschaft zieht. Man fühlt sich schlapp, traurig bis hin zur Depression, will in Ruhe gelassen werden und schlägt sich mit angsteinflößenden Träumen und Gedanken herum. Irgendwann wird es besser, aber man braucht viel Geduld und vor allem das Verständnis seiner Mitmenschen. Daran mangelt es in der High School, weil Faiths Mitschüler natürlich nicht als fertige Psychologen auf die Welt gekommen sind.
Zurück zur Sage: Nach Eurydikes endgültigem Entschwinden singt Orpheus allein bis an sein Lebensende nur noch traurige Weisen. Eurydike hingegen kann unbehelligt in der Unterwelt weiterexistieren, frei von Kummer und Sorgen. Davon erfährt der Sagen-Fan aber nichts. Deshalb sieht Faiths literarische Rache in Eurydikes Namen so aus, dass sie nach ihrer bewussten Entscheidung zum Suizid zunächst in den Köpfen ihrer Mitschüler weiterlebt. Und das hat teilweise ziemlich heftige Auswirkungen.
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