Ballerina High – Sylphide: Spitzenschuh, oh Spitzenschuh …

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Sie sehen aus wie Federmäppchen, bei denen man den Reißverschluss zum Zuziehen vergessen hat oder wie interessant geformte Körbchen für sehr lange, schmale Gegenstände. Zieht man sie zum ersten Mal an, will man nach der Heckenschere schreien, weil sie die Zehen zusammenpressen. Gleichzeitig rutscht man schneller mit der Ferse heraus, als man „autsch!“ sagen kann.

Mit Spitzenschuhen kann man einen Raum voller Menschen mit einem Schlag in Entzücken versetzen. Frauenwangen röten sich vor Aufregung, Männer gönnen sich ein Schmunzeln. Künstler aller Sparten haben ihm ihre Werke gewidmet. Schuster lassen sich davon inspirieren und fertigen sie in allen Farben. Fragt man Ballettelevinnen nach ihrem größten Wunsch, kannst du deinen Nachschlüssel drauf verwetten, dass sieben von zehn „ein Zimmer voller Spitzenschuhe“ sagen.

Es gibt sie in allen Preisklassen, Sparversion ab 20 Euronen, Sonderanfertigungen bis zu 200 Euronen und mehr sind keine Seltenheit. Sie sind mit schimmerndem rosa Satin bezogen, für Auftritte weiß, oder hautfarbener Baumwolle. Es gibt unzählige Fotos mit und ohne Füße darin, halb versunken in Bergen aus Tüll, gebettet auf Rosenblättern, Tutus, Organza und Glitzersteinen.

Am begehrtesten sind aber die Exemplare, die man, wären es Socken, nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde. Je mehr Risse im Satin, desto besser. Die Box muss ausgebeult sein, die Spitze abgeschabt, der Deckstoff zerrissen. Man kann Blut, Schweiß und Tränen förmlich riechen. Und ob man will oder nicht, man erliegt der Kombination aus Schmerz und Schönheit.

Okay, jetzt die Fakten: Nicht Filippo Taglioni war es, der dem Spitzenschuh auf die Welt half, sondern die Ballerina Marie Camargo führte um 1730 den absatzlosen Tanzschuh ein, um ihre Bewegungsfreiheit zu erhöhen, behauptet jedenfalls Wikipedia. Hundertfünfzig Jahre nach dem glorreichen Karrierestart sieht der Schuh längst nicht mehr aus wie das Original. Spitze und Standfläche wurden verbreitert, dafür kann man damit wesentlich besser tanzen. Das jahrelange Training bleibt der Tänzerin trotzdem nicht erspart. Bis sie perfekt auf der Spitze steht, vergehen viele Stunden im Ballettsaal, erst an der Stange, dann beim Einstudieren der diversen Choreografien. Das hält jedoch kaum eine ambitionierte Schülerin davon ab, von der Karriere als klassische Balletttänzerin zu träumen.

Ob ich auch schon mal welche anhatte? Nein. Meine Füße gehören eher zur Elefantenklasse, was Breite und Größe angeht. Ich bin sowieso eine viel bessere Zuschauerin. Und Achtung, jetzt kommt der Satz einer Ketzerin: Der Tanz auf nackten Füßen hat auch seinen Reiz!

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