Werkstattbericht, 08.04.2015, 18:06
Auch Yvonne hat heftige Kämpfe mit sich auszufechten. Wie ist das eigentlich mit dem schlechten Gewissen, das Kinder ihren Eltern scheinbar grundlos gegenüber haben? Braucht man dafür immer ein traumatisches Erlebnis? Oder geht das auch „einfach so“? Die Verlegerin, die ja gerne ihre verbrieften psychologischen Kenntnisse herausstreicht (ja, so sieht’s aus, Frau Verlegerin!), meinte, dem wäre nicht so. Zwar beziehe man Störungen und Neurosen angeblich fast ausschließlich aus den ersten drei Lebensjahren, aber es brauche einen Auslöser in der Gegenwart, der diese Neurosen ausbrechen lässt. (Aha. Und im Klartext heißt das …?) Sie meinte, ich könnte mich auch „einfach“ auf die Eltern-Kind-Beziehung konzentrieren, die ja auch „irgendwie“ in den ersten drei Lebensjahren „stattfindet“ und daraus etwas basteln, wenn es unbedingt einen psychologischem Hintergrund haben müsse. Ich habe daraufhin ein bisschen recherchiert, habe dann über meine ersten drei Lebensjahre nachgedacht – oder das, was ich davon noch weiß – und bin zu dem Schluss gekommen, dass es auch eine dieser wenigen Erinnerungen tun müsse, die, abgewandelt und verfremdet, auf Alexandra und Yvonne passt. Nach Rücksprache mit ein paar Freundinnen weiß ich jetzt auch, dass ich nicht die einzige mit dieser Art Erlebnis bin – Mutter sagt was, man tut’s nicht, es gibt Strafe und dann ist man den Rest seines Lebens oder bis zur ersten Therapiestunde sauer – und dann passt das wohl so. Also gut. Dann werde ich mich jetzt mal dem Mittagstisch mit Yvonne, ihren Schwestern und ihrer Mutter zuwenden. (Hoffentlich kocht Alexandra gut.)
E-Book, 250 Seiten, mit verlinktem Glossar, 0,99 €