Yps: Der Fluch des Flutsch-Flummis

Sommerkonserver von Bettina Unghulescu

Unsere Yps-Karriere zog immer abgründigere Kreise. Wer behauptet, Yps-Gimmicks waren nur billige Beigaben, der weiß es einfach nicht besser. Wir haben, wie die Erinnerungen zeigen, mit jedem davon die abgefahrendsten Sachen erlebt, ohne dass wir es jemals geplant hätten. Selbst jetzt habe ich noch Lachtränen in den Augen und kann verstehen, warum das Heft irgendwann nicht mehr vertrieben wurde. Dass es auf die Dauer zu teuer war, glaube ich nicht mehr, wenn ich auf meine Erlebnisse zurückschaue. Es wird wohl an den Tausenden von Eltern-Protestbriefen gelegen haben, die die Yps-Redaktion schließlich zum Aufgeben brachte. Das letzte Gimmick, das wahrscheinlich auch Lucas Mutter dazu veranlasste einen wütenden Brief zu schreiben, war eigentlich nur ein besseres Kondom, oder sagen wir: eine mit Wasser zu füllende Wurst. Das Ganze nannte sich „Flutsch“ und sollte für Riesengaudi und herzhaftes Lachen sorgen – ein Gimmick in einer Serie von Scherzartikeln, exklusiv im Yps-Heft herausgebracht.

Luca und ich waren inzwischen ja mit allen Wassern gewaschen und hatten die Gimmicks auf alle nur erdenklichen Arten entweiht. Unsere Eltern stellten schon misstrauisch die Ohren auf, wenn sie nur unsere Spardosen klappern hörten und beäugten die jeweils neueste Yps-Ausgabe nicht weniger skeptisch. Im Grunde hatten sie recht – irgendwann musste etwas fürchterliches passieren, das ihnen endlich einen Anlass gab, uns den Kauf des Yps-Heftes zu verbieten.
Und der Anlass kam. Aber er war so lapidar, dass mir auch hier die Tränen kommen, aber es sind Tränen der Trauer und der Frustration, weil mit dieser Erinnerung diese einzigartige Yps-Serie endet und ich mir ein neues Thema ausdenken muss.

Vorher aber noch diese kleine Episode, die unserer Yps-Freude den Garaus machte.
Flutsch lag vor uns und wirkte wie ein vollgerotztes Taschentuch. Wir füllten es mit mäßiger Begeisterung und mit Wasser, und weil wir schon einschlägige Erfahrungen gemacht hatten, begaben wir uns dazu in die Küche von Lucas Haus. Hier konnte man notfalls aufwischen, wenn es zu einer Katastrophe wie mit dem Fingerabdruckpuler kam. (Warum wir uns nicht auf die Straße oder in den Garten gestellt hatten, ist mir bis heute ein Rätsel.) Gefüllt wabbelte Flutsch munter herum und fühlte sich auch so an. Aber der Klebestreifen, den man laut Anleitung nur hätte zusammenpressen müssen, hielt nicht, was er versprach. Immer wieder nässte er. Was uns aber nicht davon abhielt, mit Flutsch in der Küche herumzuwerfen und ihn mehr oder weniger geschickt aufzufangen. Es ging auch soweit alles gut, bis Lucas Mutter hereinkam.
„Was habt ihr denn da?“, fragte sie mit greifbarem Argwohn. Als wir ihr versichert hatten, dass absolut nichts passieren könnte, nahm sie Flutsch in die Hand, wog ihn ein paarmal nachdenklich und gab ihn uns zurück. „Na, dann spielt mal weiter. Diesmal scheint ja nix dran zu sein.“ Trotzdem blieb sie noch eine Weile bei uns, denn man konnte ja nie wissen …
Und wie nicht anders zu erwarten ging die Klebestelle wieder auf, und das Wasser ergoss sich über meine Hose. Lucas Mutter brach in schallendes Gelächter aus und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Irgendwann wurde es Luca zu bunt.
„Warum lachst du denn jetzt?“, maulte sie. „Bei den anderen Sachen hast du nicht gelacht! Und bei den Sachen, die du nicht weißt, hättest du bestimmt auch nicht -“
Es war das einzige Mal, dass Luca etwas zu spät bemerkte (was sonst immer meine glorreiche Rolle war). Das Lachen ihrer Mutter verstummte abrupt. Dafür lief sie rot an und servierte uns das lauteste Donnerwetter, das wir jemals gehört hatten. Sie versuchte herauszukriegen, was sie denn „alles nicht wüsste“, aber wir schwiegen tapfer. Dieses Schweigen servierte ich auch meinen Eltern, die natürlich umgehend von Lucas Mutter informiert worden waren. Ich dachte an die Vase, an den angesägten Finger, an die Briefmarkensammlung. Aber ich schwieg, denn die Freundschaft zu Luca war an diesem sehr langen Abend stärker.

Letztendlich war der „Flutsch“ das letzte Gimmick, das wir uns als Kinder besorgen durften. Das Verbot war rigoros. Würde man uns noch einmal mit einem Yps-Heft erwischen, wäre die Strafe so schrecklich, dass wir den Tag, an dem wir das erste Heft in die Finger bekommen hatten, verwünschen. Auch hier schwiegen wir, trauten uns aber tatsächlich nie wieder. Wenn unsere Freunde uns ihre neuesten Ausgaben zeigten, schluckten wir und suchten das Weite. Erst als Erwachsene wurde ich auf die Neuauflage aufmerksam. Mein damals schon Angetrauter – ebenfalls ein Yps-Fan alter Tage – hatte es sich gekauft und war stolz wie Oskar. Ich erzählte meiner Mutter davon, aber sie lächelte nur milde – nach über 20 Jahren war auch ihr Zorn verraucht.
Ob sie jemals einen Brief geschrieben hat?

Zuerst gepostet am 17. Juni 2010