Ballerina High: Der Schrecken im Gewöhnlichen

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»Sag mal, warum hast du das mit dem Schlafwandeln eigentlich nicht ausgebaut, so mit ein paar zusätzlichen Wahnvorstellungen oder so?«, fragte eine mir sehr sympathische Testleserin. Sie spielte auf Christophers Erkenntnis an, wer ihm einen bösen Streich gespielt haben könnte.

Ja, warum habe ich nicht? Weil ich nicht wollte, s. Verschnaufpause für alle! Und man muss es an dieser Stelle auch mal ganz klar sagen: Die Vorstellungen, die wir vom Psychiatriealltag haben, entsprechen nicht der Wirklichkeit. Klar gibt es Vorkommnisse wie die Sache mit #Gustav Mollat, und es ist auch klar, dass man Menschen nicht einfach in eine Anstalt einweisen darf. Aber in der Psychiatrie geht es nicht den ganzen Tag so »verrückt« zu wie in »Einer flog übers Kuckucksnest« oder »Twelve Monkeys«. Das sind plakative Filmszenarien, die sich jemand ausgedacht hat.

Ich wollte mit Christophers Geschichte nicht dazu beitragen, das Thema zu mystifizieren. Es ist auch ziemlich sadistisch, sich am Leid eines anderen zu ergötzen, indem man ihm, wenn auch nur literarisch, mehr Schaden zufügt als nötig.

Man stelle sich das einfach mal vor: Die Augen sehen etwas, aber das Gehirn macht daraus ein ganz anderes Bild. Man weiß, dass das, was gerade abläuft, nicht gut ist, kann aber diese Situation mit all ihren überschießenden Emotionen nicht aus eigener Kraft beenden. Und wer möchte schon freiwillig in die Haut des »Verrückten« schlüpfen, um diesen Moment hautnah zu erleben?

Man könnte sich auch fragen: Will ich eine Situation, in der ich richtig heftige Angst hatte, noch einmal erleben? – Nein? Gut. Christopher wollte das auch nicht. Und seine realen Pendants in unserer analogen Welt wollen es mit Sicherheit auch nicht. Also quälen wir sie nicht damit, indem wir einer zwiespältig aufgenommenen Institution einen lüstern-morbiden Hintergrund verpassen, an dem sich Leser ergötzen können. Christopher und Monkey und all die anderen haben es schwer genug.

»Kannst du dir denn vorstellen«, meinte die Testleserin nach einer Weile, »einen Roman über Psychologie und Psychiatrie zu schreiben?«

Vielleicht.

Wenn mein innerer Horizont weit genug ist, um diese Situationen wirklich mit allen Sinnen zu erfassen und so umzusetzen, dass Würde und Demut erhalten bleiben.

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