Sommerkonserve von Bettina Unghulescu
Die Spaß-für-draußen-Gimmicks waren insgesamt nicht so der Brüller, weshalb wir irgendwann unserem Vorsatz untreu wurden und unsere Detektei-Ausrüstung nach draußen schleppten. Drinnen durften wir schließlich nicht mehr tätig werden, das hatten wir ja hoch und heilig geschworen.
In der Zeit, als es noch keine Becherlupen gab, musste man auf stinknormale Lupen mit Griff zurückgehen. Und zum Glück hatte sich ein Gimmick als Detektivlupe mit 4- und 8-facher Vergrößerung herausgestellt. Ein ziemlich cooles Gimmick, wie wir fanden. Luca und ich beschlossen, den sonnigen Tag mittels Vergrößerungsglas zu verbringen und untersuchten alles, was uns vor die Linse kam. Die zahlreichen Käfer müssen sehr über die Hitze erschrocken sein, die sich plötzlich über ihnen ausbreitete – hingerichtet haben wir aber keinen, sie krabbelten jedenfalls alle eilig weiter.
Alexander und Christian, die auf der anderen Straßenseite wohnten, beobachteten uns.
„Was macht ihr denn da?“
„Wir untersuchen die Welt“, rief Luca im Überschwang der Entdeckerfreude.
Die Jungen prusteten los. „Mit DEM Ding da?“
„Ihr seid ja bloß neidisch“, schoss ich zurück. „Die sind gar nicht so übel.“
„Neidisch? Pah“, rief Alexander, aber Christian war tatsächlich neugierig und wechselte die Straßenseite. Nach fachmännischer Begutachtung nickte er zustimmend, wenn auch zögernd. „Und das gab’s im Yps?“
„Logo“, grinste Luca und borgte Christian ihre Lupe für ungefähr zwei Millisekunden, die sich wie Stunden anfühlten. Wir wechselten uns ab mit den Lupen und entdeckten noch mehr Sandkörner, Risse in den Gehwegsteinen, verirrte Grashalme und jede Menge verlorene Gegenstände wie Schrauben, Münzen, Haushaltsgummis, abgebrochene Plastikteile und sogar einen Einkaufszettel. All das hätten wir natürlich auch ohne Lupe sehen können, aber so war es spannender. Außerdem betrug die monetäre Ausbeute satte 63 Pfennig, die wir bei nächster Gelegenheit zu dritt am Kiosk versilbern wollten. Alexander stand derweil stumm auf der anderen Straßenseite und sah uns zu, wie wir durch Lucas Vorgarten turnten.
„Das ist doch sowieso nur Schrott“, rief er schließlich. „Meine Lupe ist viel besser!“
„Und du bist’n Angeber“, rief ich zurück. „Hol sie doch, wenn du sie überhaupt hast!“
Das ließ sich Alexander nicht zweimal sagen. Er schoss davon und kam mit einer wirklich schönen Lupe und einem Album zurück – darin seine Briefmarkensammlung. Mit mühsam zurückgehaltenem Stolz ließ er die Lupe in der heißen Sonne glänzen, hockte sich auf die Bordsteinkante und schlug das Album auf. Und natürlich waren wir sofort an seiner Seite.
„Das hier ist die aktuelle Sammelreihe der deutschen Post“, erklärte er uns großzügig. „Und die hier hat mir mein Opa geschenkt. Die ist sogar gestempelt.“
„Wir kriegen nur Briefe mit gestempelten Briefmarken“, meinte Alexander, aber Christan lachte ihn aus. „Aber meine ist noch nicht aufgeklebt und deshalb viel wertvoller!“
„Aha“, sagten wir nur und nickten.
„Das ist die Pflanzensammelserie. Die hat mir mein Vater geschenkt.“ Er blätterte um. „Und das …“
Er hielt inne, und weil er gar so bedeutungsschwanger klang, beugten wir uns über eine verwaschen blaue Marke, die einsam auf dieser Seite in einer Lasche steckte. „Das ist die blaue Mauritius.“
Wir schauten uns an. Und da Luca mal wieder beim Trivial Pursuit besser aufgepasst hatte als ich, prustete sie als Erste los. Ich lachte mit, weil es nie schaden konnte, mit Luca zu lachen, und auch Christian haute sich auf die Schenkel.
„Du lügst! Die liegt doch irgendwo im Museum“, gickerte Luca, „oder in einem Tresor, aber doch nicht in deinem Album!“
„Die Mauritius zeigt die britische Königin“, beharrte Alexander, „mit Frisur und Krone!“
Was er mit der „Frisur“ bezweckte, weiß ich nicht. Ich nehme an, er wollte „mit dem Profil der britischen Königin“ sagen, aber in dem Alter spricht man noch nicht so oft von Profilen, dass man sie schon mal vergessen kann. Auf jeden Fall zeigte seine „Mauritius“ die britische Königin und war auch nicht abgestempelt. Wir glaubten ihm trotzdem nicht.
Das wurmte Alex, der schon immer etwas empfindlich war, und deshalb pumpte er sich ein bisschen auf, als er sagte: „Dann zeige ich euch jetzt die wertvollste Marke, die mein Papa hat.“ Und schon war er verschwunden und mit einem anderen Album zurückgekehrt.
Wir hielten die Luft an, als er mit wichtiger Miene zu einer Seite blätterte, auf der wie in seinem Album nur eine einzige blaue Marke zu erkennen war. Mehr sahen wir nicht, weil er sofort die Lupe, die ja der Auslöser für diesen stillen Wettstreit gewesen war, darüber hielt, um uns die Vollkommenheit der Zacken, der Farbtiefe und somit ihre Reinheit zu beweisen.
Blöderweise – in diesem Fall – wird unser Planet von einem sehr energischen und energetischen Himmelskörper begleitet. Er sorgt dafür, dass die Erde beständig auf ihrer Bahn herumbraust, die Jahreszeiten sich abwechseln und unsere Welt nicht ganz führungslos durchs Weltall düst. Der Himmelskörper kümmert sich ebenfalls um eine weitere Reihe von Planeten, aber die waren in diesem Augenblick nicht so wichtig. Wichtiger war die Energie, die dieser Himmelskörper durch die Lupe jagte, was wir aber erst merkten, als es plötzlich bestialisch stank.
Fassungslos riss Alexander die Lupe zur Seite, aber die Sommersonne hatte ihre Neugier bereits kundgetan und ein Loch in das Album gebrannt. Wie der Blitz schlug Alexander das Album zu und stürzte davon. Das war so schnell gegangen, dass wir nicht mal Zeit hatten, uns aufzuregen. Wir saßen nur etwas blöd auf der Bordsteinkante, schauten uns an und wogen die Yps-Lupen in den Händen. Erst als Alexanders Vater mit seinem Wagen schwungvoll in die Straße einbog, suchten wir Hals über Kopf das Weite.