Rezension Die Supermamas – Windeln wechseln und Welt retten, Tina Skupin
Becky an Franka, im Juli 1830
Liebste Franka,
vielen Dank für deine Zeilen! Ich begann schon, mir Sorgen zu machen, weil so lange jede Nachricht von dir ausblieb. H. hingegen sah ich vor wenigen Tagen bei Gutzkow, doch er wollte mich partout nicht bemerken, sondern verabschiedete sich eilig, kaum dass ich eingetroffen war. Ich will nicht andeuten, dass er einer Begegnung bewusst auswich. Ganz im Gegenteil: Wenn ich mir einer Sache sicher bin, dann dieser. Du weißt, wie angespannt unser Verhältnis immer gewesen ist, und er wollte gewiss nicht nach dir gefragt werden, da er in Begleitung einer Brünetten war, die ich nie zuvor gesehen habe. Sein Bekenntnis zu Renate scheint somit von ebenso kurzer Dauer gewesen zu sein wie beinahe alles in seinem Leben. Gut, dass du diesen Windhund los bist! Das Kranzgeld kann den Kummer kaum aufwiegen, den er dir bereitet hat, aber immerhin bist du jetzt frei und kannst dir diese Freiheit mit den Kuchen und Mehlspeisen versüßen, für die die Stadt Wien zu Recht so berühmt ist.
Was deine Frage nach dem Zentauren angeht: Es ist ganz so, wie ich schon vermutete. Man hat sich einen Scherz erlaubt und Schabernack mit mir getrieben. Die Zentaur ist eine Viermaster Bark auf der America-Route (das mir dem Labyrinth war übrigens der Minotaur und der war in Kreta). Ich hingegen werde gen Neu York segeln, denn Berichten zufolge soll das, was ich suche, in America aufgetaucht sein. Seefahrt tut daher not, könnte man sagen. Schon morgen geht es los!
Daher muss ich es zu meinem Bedauern bei diesen hastig gekritzelten Zeilen belassen. Ich verspreche aber, alles, was mir auf dieser Fahrt widerfährt, aufzuschreiben und dir getreulich zu berichten – auch wenn dich diese Episteln erst nach einiger Zeit erreichen werden.
Bis dahin sei inniglich umarmt! Von Herzen kommende Grüße und Küsse
Deine, dir selbst in der Ferne ewig in Freundschaft verbundene Becky.
P. S.: Bitte schreib auch du recht fleißig. Ich will doch teilhaben, wie du deine Freiheit genießt. Eine Adresse, an die du die Briefe richten kannst, sende ich, sobald ich Quartier genommen habe.
Franka an Fanny, Detmold, den 2. August 1830
Liebste Fanny,
mein Herz wurde einmal mehr gebrochen. Ja, einmal mehr! Dabei war ich so zuversichtlich, dass mein Leben von nun an in anderen, erfüllenderen, ehrlicheren Bahnen verläuft! Doch nein, das Schicksal hat anderes mit mir vor.
Kurz vor meiner Abreise aus Porta Westfalica – mein rechter Fuß stand schon auf dem Treppchen des leuchtend gelben Wagenkastens – eilte meine Zimmerwirtin ein letztes Mal herbei und drückte mir ein Briefchen in die Hand. Sie war noch im Dunkeln mit mir aufgestanden, die gute Seele, um mich vor der Thurn-und-Taxis-Poststation aufs Herzlichste zu verabschieden. Bereits da vermisste ich sie, die reinste Seele im Fürstentum Lippe-Detmold, die sieben ganze Tage wie eine Mutter um mein Wohlergehen besorgt gewesen war! – Nicht sofort las ich das Briefchen von Becky, der treuen Seele, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen und das Entzünden einer Kerze im Fuhrwerk wurde vom Kutscher nicht gut gelitten. Erst bei der kurzen Rast einer kleinen, muffigen Poststation zog ich es nach einem raschen zweiten Frühstück aus der Tasche.
Ich wünschte, ich hätte das Siegel nicht erbrochen. Der Wagen rollte längst wieder gen Zwischenstation Kalletal, als mein Geist begann, zögerlich meine bis dahin erstarrte Hülle zu beleben. In ungewohnt fröhlichem Ton berichtete Becky neben den hübschen Grillen, die wir auszutauschen pflegen, von H.’s neuester Eroberung (eine Brünette) und – immer noch stockt die Feder in meinen klammen Fingern – davon, dass sie Abschied von unserer Welt nimmt. Denn Becky ist bereits jetzt, da ich diese Zeilen verfasse, auf dem Weg nach America!
America. Wie oft hatte sie in ihren dunklen Stunden die Sehnsucht nach dieser britisch-französischen Kolonie geäußert, wie sehr hat sie dort die Freiheit ihres Herzens verortet. Sie bat mich in ihrem Brief zwar, ihr recht oft zu schreiben, sobald sie dort Quartier genommen hat. Aber jeder weiß doch, wie unsicher die Fahrt über den Atlantik in einer Nussschale ist, die sich Schiff nennt! Und wie viele Opfer dieses grauenhafte Meer bereits in seine finsteren Tiefen gerissen hat …
Oh Fanny, in diesem Moment, wo ich in der Poststation in Detmold auf dem Strohsack in meiner Stube sitze – drunten in der Schankstube diskutieren die Männer über die Freiheit und den Stolz – in diesem Moment vermisse ich dich und deinen liebevollen Trost mehr denn je. Deine Kinder können sich glücklich schätzen, dich zur Mutter zu haben! Wie die griechische Göttin Athene hast du stets für die Gerechtigkeit gekämpft; stets fanden Becky und ich unter deinem Mantel der Güte Schutz. Wie wunderbar wärst du nun hier bei mir in der dunklen Kammer. Ach, könntest du doch nur fliegen wie die Mutter in der Mär, welche mir eine Mitreisende auf dem Weg von Minden nach Porta Westfalica erzählte. In dieser Geschichte eilte die famose Mutter des Bürgertums ihren Kindern sogar auf den Schwingen des Ikarus‘ zu Hilfe, während sie ihr Jüngstes an der Brust säugte oder gegen die Dämonen der Hölle kämpfte. Zusammen mit ihren magischen Schwestern schlug sie gar eine schwarze Höllenarmee in einer privaten Bibliothek zurück. (Warum ausgerechnet dort, verriet mir Maira, die Mitreisende, jedoch nicht. Vielleicht gebrach es ihr an Worten, stammte sie doch angeblich aus dem schwedischen Königreich.)
Liebste Fanny, ich schließe nun – nicht nur, weil meine Augen vom flackernden Kerzenlicht brennen. Ich bin unendlich erschöpft ob Beckys Verlusts und der Sehnsucht nach dir. Morgen werde ich diesen Brief aufgeben. Dann geht es weiter nach Grevenhagen, von wo aus ich die nächste Mitfahrgelegenheit nach Paderborn nehmen werde und wo ich fünf oder sechs Tage in Paderborn zu rasten gedenke. Vielleicht magst du mir ein paar Zeilen an die Grevenhagener T & T Poststation senden? Bis dahin werde ich neue Eindrücke für dich in einem weiteren Brieflein sammeln. Wenn ich schon nicht mit dir Welt erkunden kann, so will ich dir doch wenigstens davon berichten.
Ach, Fanny. Ich vermisse und grüße dich von Herzen!
Deine dich liebende
Franka
Wem ich diesen Roman ans Herz lege:
Mütter, die zu gern einmal energischer aufträten, wenn Ungerechtigkeiten über sie hereinbrechen, meist aber zu müde sind, sollten diesen Roman lesen. Aber auch alle heimlichen Heroinnen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen und etwas für herzliche Wundergeschichten übrig haben, sind mit diesem Werk sehr gut beraten. Starke Sprache, stilistisch an die Überraschungen und fröhlichen Ereignisse angepasst, ergänzen die Mär auf angenehme Weise.
Der Buchumschlag gibt leider nicht wieder, wie gut dieses Buch zu lesen ist, weshalb ich einen halben Stern abziehe.
Somit verbleiben ****,5 von 5 Sternen.
Franka, im August 1850
Die Supermamas – Windeln wechseln und Welt retten, Tina Skupin