Yps – Flying High

Sommerkonserve von Bettina Unghulescu

Nachdem wir mit unseren inhäuslichen Aktivitäten so derbe gescheitert waren – und weil wir Respekt vor den angedrohten Sanktionen bei weiteren Aktionen dieser Ausmaße fürchteten – verlegten wir alles, was mit Yps zu tun hatte, nach draußen. Inzwischen war es passenderweise auch Sommer geworden, und die Gimmicks wurden „draußentauglich“.
Und da war er auch schon, der „Solarzeppelin“. Im Rückblick finde ich diese Bezeichnung für eine überdimensionierte schwarze Plastiktüte zwar reichlich übertrieben, aber wahrscheinlich ist den Ypsen dazu nichts anderes eingefallen. Die Luftwurst kurbelte jedenfalls unsere Phantasie an. Und da wir wie immer nach Gebrauchsanweisung vorgingen, waren wir sicher, dass diesmal wirklich nichts schiefgehen konnte.
Mit einem riesengroßen Eis saßen wir also schon mindestens den ganzen Nachmittag neben der mit Luft gefüllten dunklen Wurst, die wir mittels einer Nylonschnur steuern wollten. Nicht auszudenken, wenn unser „Zeppelin“ sich in die Lüfte erhob und auf Nimmerwiedersehen verschwand! Das Eis „verdampfte“ dank unserer einschlägigen Qualifikation, die Sonne stieg – nicht so der Zeppelin. Wir hängten ihn als Starthilfe an die Wäscheleine, wo er ein wenig müde herumbaumelte. Wir rannten damit im Schlepptau über den Spielplatz, wir stemmten ihn vorsichtig in die Höhe und horchten nach dem Wind – vergebens.
„So ein Mist“, meinte ich schließlich, wenn auch nicht ganz so enttäuscht wie Luca, denn ich hatte auf den Erwerb des Luftfahrtgerätes verzichtet. „Was machen wir jetzt?“
Nun, Kinder sind klein und findig. Wir öffneten den Knoten, der die warme Luft im Zeppelin hielt, knüllten die Tüte zusammen und warfen sie weit weg. Lustig fanden wir, dass wir den Plastikknubbel einfach an der Schnur zurückziehen konnten. Das ging eine Weile gut, dann wurde es aber auch langweilig. Wir beschlossen, das Feld zu räumen, dieser Tag war nicht für Heldentaten geschaffen.

Auf unserem Weg zu neuen Abenteuern kamen wir an einem offenen im ersten Stock Toilettenfenster vorbei. Es gehörte zu Frau Lübkes Wohnung, eine nette alte Dame, die auch immer ein Bonbon für uns übrig hatte. Und Frau Lübke hatte eine Enkeltochter, Susanne, die oft bei ihr zu Besuch war. Rauskommen durfte sie aber nicht, weil sie etwas angestellt hatte, und so unterhielten wir uns durch das offene Klofenster. Irgendwann kamen wir auf die Idee, den Zeppelinknüll zu ihr hinaufzuwerfen, was sich aber aufgrund seines geringen Gewichtes als gar nicht so leicht herausstellte. Wir juchzten und warfen und hatten trotzdem unseren Spaß, bis Frau Lübke Susanne aus dem Bad zu sich rief. „Ich komm gleich wieder“, sagte sie und war verschwunden.
Luca und ich sahen uns an. Ich kann nicht mehr sagen, ob Luca oder ich ausholte, um den Zeppelinknubbel ein weiteres Mal ins Klofenster zu werfen – jedenfalls gelang es. Wir jubelten ob dieses Triumphes. Auch ohne Susanne konnten wir unser Treiben ungestört fortsetzen! Und dank der Schnur war es auch kein Problem, ihn wieder herauszuziehen, und so – klirrte es. Erschrocken erkannten wir, dass wir unserem Vorsatz, diesmal nichts anzustellen, nicht nachkommen konnten und türmten hinter die nächste Hausecke und schließlich über den Zaun, hinter dem das Grundstück von Lucas Eltern begann. Die Distanz zum Tatort Klofenster betrug nur vier oder fünf Meter, sodass wir mit klopfendem Herzen Susannes Rückkehr und die anschließende Standpauke hinter hohen Büschen hautnah miterleben konnten.
Dem Strafgericht, das Susanne kurz darauf ungerechtfertigterweise traf, entnahmen wir Folgendes: Es gibt Leute, die in ihren Bädern noch Gerätschaften wie Waschmaschinen, Wäschetrockner oder Köfferchen für Schminkutensilien aufbewahrten. (Ja, auch gehäkelte Klorollenmützen, aber die sind jetzt nicht so wichtig.)  Frau Lübke gehörte zu den Wäschetrockner-Aufbewahrern, und unser Solarzeppelin hatte sich just für dieses Rohrgestell interessiert und darin mittels der Schnur verfangen. Als wir ihn langsam zurückziehen wollten, kippte der Wäschetrockner unglücklicherweise genau auf die Buschröschenvase auf dem Fensterbrett, die Frau Lüdeke zu Duftzwecken immer mit stark riechenden Gewächsen füllte. Die Vase war zwar nicht teuer gewesen, aber der Schaden an sich und die Tatsache, dass Susanne sich in der Nähe aufgehalten und scheinbar sehr ungeschickt angestellt hatte, rechtfertigte wohl in Frau Lübkes Augen ihre Reaktion. Nach der Abrechnung mit der falschen Täterin wurde das Fenster energisch geschlossen und an diesem Tag nicht mal mehr gekippt.

Luca und ich beschlossen aber, Susanne bei nächster Gelegenheit ein großes Eis von unserem Taschengeld zu spendieren. Ob wir es gemacht haben? Logisch! Es dauerte zwar bis zu dem Tag, an dem wir uns zufällig in der Weseler Innenstadt beim Einkaufen nach vielen Jahren wieder über den Weg liefen, aber Susanne sah nach dem Verzehr des Balkanbechers mehr als zufrieden aus.

Zuerst gepostet am 20. Mai 2010