Ballett & die lieben Klischees

46_Coppelia_im_Heu_Wunderwaldverlag_140Bettinas allerliebster Werkstattbericht zu ihrem allerersten Ballettroman

Für diesen Artikel habe ich mich auf Alicias Geheiß erneut im Warteraum einer Ballettschule eingefunden, um in der richtigen Atmosphäre zu schreiben. Weil ich ja so ein Ballettbanause bin! Aber die Musik ist gut. Und ein Teil des Romans ist tatsächlich hier entstanden.
Alicia und die Ernsthaftigkeit, mit der sie und ihre beiden Töchter sich dem Thema widmen, sind schon zum Kringeln. Sie hat mir ausdrücklich erlaubt, hier über sie zu schreiben: Da werden Trikots vorsichtig von Hand gewaschen, Lederschläppchen gewienert, Laufmaschen in Strumpfhosen mit besonderen Nadeln bearbeitet, weil so ein Teil um die 8 Euronen kostet. Dazu kommen die täglichen Dehn- und Kräftigungsübungen, die Tochter 1 und Tochter 2 eisern durchziehen, während ihre Mutter stolz danebensteht und erzählt, wie eifrig auch sie in dem Alter dabei war. Alicia kann sich zwar den dicken Zeh nicht mehr in die Nase stecken, ist aber brockenbegeistert von der Gelenkigkeit ihrer Brut und fördert deren Ballettverrücktheit, wo und wann immer möglich.
Ich schaue mir das ganz gern mal an und sitze auch freiwillig im Warteraum, während nebenan der Schwingboden knirscht. Aber ich kann der Verklärung des Themas nichts abgewinnen. Es soll Leute geben, die abgetragene Spitzenschuhe sammeln, weiß Alicia zu berichten, und die davon ganze Kisten auf ihrem Dachboden horten. Ich frage mich: Stinkt das nicht? Ein Sommer in Ballerinas genügt mir, um die zierlichen Teile auszutreten und mit meinem Fußgeruch zu imprägnieren. Wie muss dann erst eine ganze Kiste alter Ballettschlappen riechen!
Oder zum Beispiel muss man sich mal ernsthaft fragen, wie man als Tänzer eigentlich finanziell überlebt. Eine Tanzpädagogin beantwortete mir diese Frage vor der Warteraumstunde so: „Reich heiraten. Oder kellnern.“ No more, no less. Damit ist das Thema eigentlich schon entzaubert. Oder diese Mär um das ganze Gehungere … Ein(e) Tänzer(in), der / die hungert, kann nicht tanzen, weil schlichtweg die Energie fehlt, die Muskeln zu befeuern.
Das und all der restliche klebrige Pathos stören mich kolossal an den diversen Tanzromanen. Hin und wieder lässt Alicia sich das auch raushängen, wenn gerade wieder einer ihrer jugendlichen Protagonisten eine Stufe der Entrückung erreicht, die wohl irgendwie das Ziel dieser Schufterei sein muss Auch sonst liest man allerorten nur über verhungerte, Spitzenschuhe tragende Wesen, die nix als Tanz im Kopf haben. Als ob es nicht noch was anderes im Leben gäbe als böse Konkurrentinnen, wund getanzte Füße und strenge Ballettlehrer. (Übrigens habe ich in diesem Warteraum gelernt, dass mangelnde Fußpflege wunde Füße verursacht, nicht das übermäßige Tanzen, wie bei Leichtathleten auch.) Und auch die Ehrfurcht vor dem Schmerz, mit der man diesen Wesen begegnet, wäre mir fast in den Coppelia-Roman hineingeflutscht, ganz wie es sich für einen Klischeeroman gehört. Überhaupt ist der Schmerz anscheinend DAS Ballettzugpferd für Leser und Zuschauer. Alles ein bisschen Sadomaso, gell? Oder schlichtweg körperorientiert, weil es um Körper geht.
Mit diesen Klischees kann man natürlich auch wunderbare Geschichten schreiben – wobei ich gehörigen Respekt vor Leuten habe, die so besessen tanzen können. Mir wäre das zu anstrengend! Trotzdem habe ich das Sadomaso-Spitzenschuhfetisch-Spiel noch nicht ausgeschlachtet, aber es gibt genug Stellen im Roman, wo ich mit dem Gedanken gespielt habe. Wenn doch alle so auf die Körper abfahren … Alicia hat mir jedenfalls versprochen, wieder mitzumachen.

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